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Dem Stande gemäß

 

Suttner schreibt von ihrer „ersten Liebe“ zum jungen Kaiser Franz Joseph und von ihrer kindlichen Bewunderung zu Kaiserin Sissi im Alter von 10/11 Jahren. Anschließend erzählt sie von ihrer nächsten Schwärmerei für einen Opernsänger und ihrer Faszination für Liebe und Ehe. Suttner beschreibt sich als junges Fräulein, welches an ein romantisches Bild von Ehe und Liebe glaubt, dabei von seinem gesellschaftlichen Stand aber durchaus beeinflusst ist.

 

  1. 12:

Meine erste Liebe war niemand geringerer als Franz Joseph I., Kaiser von Österreich. Gesehen hatte ich ihn zwar nie – nur sein Bild -, aber ich schwärmte heftig für ihn. Daß er mich heiraten werde, schien mir gar nicht ausgeschlossen: im Gegenteil, das Schicksal war mir so etwas Ähnliches schuldig. Natürlich mußte ich noch fünf oder sechs Jahre warten; denn daß ein zehnjähriges Kind nicht zur Kaiserin gemacht werden könne, sah ich ein. Ich mußte zur fünfzehn-, sechzehnjährigen Jungfrau – der schönsten Jungfrau im Lande – aufgeblüht sein; der junge Herrscher würde mich einmal erblicken, sich mit mir in ein Gespräch einlassen, von meinem Geist entzückt sein und mir sofort seine Person zu Füßen legen. […]

Ein böser Zufall hat gewollt, daß Kaiser Franz Joseph schon im Jahre 1854 – ich war also erst elf Jahre alt – seine Cousine Elisabeth erblickte, mit ihr ein Gespräch anknüpfte und ihr seine Person zu Füßen legte. Ich war nicht gerade unglücklich (es gibt ja noch andere Märchenprinzen genug), sondern interessierte mich fortan lebhaft für Elisabeth von Bayern, suchte nach ihren Porträten, fand, daß sie einige Ähnlichkeit mit mir habe und ahmte ihre Frisur nach. Die eigentliche heftige Leidenschaft für meinen jungen Landesvater war ja seit einiger Zeit erloschen. „Chiodo caccia chiodo“, dieses Sprichwort wenden die Italiener an, u zu illustrieren, daß eine Liebe die andere verjagt.

 

  1. 13:

Ich war an meinem elften Geburtstag zum ersten Mal ins Theater geführt worden. Man gab die „Weiße Dame“. Nein, dieser George Brown! („welche Lust, Soldat zu sein!“) Ja, das ist doch der schönste Stand – nächst dem Opernstand. Denn etwas Hinreißenderes als diesen Sänger – ich weiß sogar noch seinen Namen, Theodor Formes, der Eindruck muß also tief gewesen sein -, etwas Ritterliches hatte ich mir nie träumen lassen. So mußte der mir bestimmte Prinz aussehen. Er mußte nicht einmal Prinz sein, nur womöglich, wenn nicht Tenor – Herrn Formes hätte ich keinen Korb gegeben -, so jedenfalls Soldat. Während ich das erzähle, sehe ich, daß ich zwar ein dummes Mädel war, aber kein rechtes Kind. Das kommt wohl daher, weil ich keine gleichaltrige Gespielin gehabt, sondern Erwachsene waren, deren Lebensschicksale sich zumeist um Liebe und Ehe drehten.

 

  1. 20:
[…] meine Zukunft sah ich deutlich vor mir, ward sie doch in den täglichen Puffspielen [ein von Suttner und ihrer Cousine erdachtes Rollenspiel, welches wechselnde Themen zum Inhalt hatte] verzeichnet: Erwachsensein und Einführung in die Welt, zufliegende Herzen und Heiratsanträge, eine Begegnung des Einen, Einzigen, dem auch mein Herz zufliegen würde, weil er der Vornehmste, Schönste, Gescheiteste, Reichste und Edelste von allen wäre. Was er mir bieten Würde – und ich ihm auch reichlich zurückzahlen -, das wäre vollkommenes und lebenslängliches Glück.

 

Erster ernstzunehmender Werber um Suttners Hand (sie damals 18 J.)– Joseph von Weilen ist reich und 52 Jahre alt, nachdem Suttners Mutter ebenfalls 44 Jahre jünger als Suttners Vater war, dürfte diese mit dem beträchtlichen Altersunterschied keine Probleme haben, zumal der Werber auch sehr wohlhabend ist und somit ein sicherer Hafen für Suttner wäre.

  1. 55-56:

Nun geschah es, daß sich durch Vermittlung des Schriftstellers Joseph von Weilen, der bei uns verkehrte, einer der reichsten Männer Wiens um meine Hand bewerben ließ. Mutter und Vormund erklärten sich einverstanden. Der Bewerber war zwar nicht Aristokrat und schon zweiundfünfzig Jahre alt. Aber mit dem höchsten Glanz wollte er meine und meiner Mutter Existenz umgeben – Villen, Schlösser, Palais … ich war geblendet und sagte „ja“. Ich versuche nicht, diese Tatsache zu beschönigen. Es ist eine häßliche Tatsache, wenn ein achtzehnjähriges Mädchen einem ungeliebten, so viel älteren Mann die Hand reichen will, nur weil er Millionär ist! es heißt – um es bei seinem wahren Namen zu nennen – sich verkaufen. Schriebe ich einen Roman, so würde ich von dessen Heldin, wenn sie sympathisch sein sollte, eine solche Episode gewiß nicht erzählen; aber was ich hier niederschreibe, sind die Erlebnisse einer wirklichen Person, für deren Handlungen ich lange nicht so verantwortlich bin, als ich es für die Handlungen einer Phantasiegestalt wäre, denn diese wäre nach meinen eigenen, gegenwärtigen Ansichten und Gefühlen geformt, während diese achtzehnjährige Bertha Kinsky – obgleich ich’s selber bin – weiter nichts ist als ein vages Erinnerungsbild. Was das Original des Bildes erlebt hat, das ist in bloßen Umrissen in meinem Gedächtnis erhalten, das hat auch zur Gestaltung meines gegenwärtigen Charakters beigetragen; aber was jenes Original damals selber für einen Charakter hatte, das erscheint mir als etwas, an dem ich ebenso unbeteiligt bin, wie an den Launen der Kleopatra und der Semiramis.

  1. 56:

Am selben Abend [von Weilen hatte untertags schriftlich um Suttners Hand bei ihrer Mutter angesucht] sollten wir auf einen Ball gehen – mein Debut. Ein adeliges Picknick. Auf diesem Ball pflegte die „Crême“ zu erscheinen, aber nicht ausschließlich; es sind da auch mindere Elemente anwesend. Ich sehe noch meine Toilette: ein weißes Kleid ganz mit kleinen Rosenknospen besät. Voll freudiger Erwartung betrat ich den Saal. Voll gekränkter Enttäuschung habe ich ihn verlassen. Nur wenige Tänzer hatte ich gefunden. Beim Kotillon wäre ich bald sitzen geblieben, hätte sich nicht schließlich ein häßlicher Infanterieoffizier, der sich zahlreiche Körbe geholt hatte, meiner erbarmt. Die hochadeligen Mütter saßen beisammen, meine Mutter einsam; die Komtessen standen in Rudeln und schnatterten gemeinsam – ich kannte keine; beim Souper bildeten sich lustige kleine Gesellschaften, ich war verlassen. Auf der Nachhausefahrt sagte ich zu meiner Mutter:

„Mama, jetzt bin ich entschlossen, ich nehme den Antrag an.“

  1. 56:

Das nächste Bild: Der beglückte Freier, im Besitze meines Jawortes, bringt mir eine ganze Ladung Brautgeschenke: ein Schmuck von Saphiren und ein Perlenkollier. Auch seine bald sechzehnjährige Tochter stellt er mir vor – er war nämlich Witwer -, und diese nannte mich ihre schöne, liebe Mama, was mir ungeheuren Spaß machte.

  1. 57:

Noch ein Bild: Ein Nachmittag bei uns. Mein Bräutigam und ich sind zum erstenmal allein.

„Bertha, weißt du, wie entzückend zu bist?“ Er umschlingt mich und drückt seine Lippen auf die meinen. Der erste Liebeskuß, den ein Mann mir gegeben. Ein alter Mann, ein ungeliebter Mann. –

Mit einem unterdrückten Ekelschrei reiße ich mich los, und in mir steigt ein leidenschaftlicher Protest auf – Nein, niemals – –

Am folgenden Tag wurden die Geschenke zurückgeschickt – ich löste die Verlobung auf. Die Meinen hatten zwar remonstrieren versucht: das Aufsehen – die Wortbrüchigkeit – ich hätte nicht ja sagen sollen, ich war ja dazu nicht gezwungen worden, jetzt aber plötzlich zurückzutreten – ich möge doch wenigstens noch einige Zeit überlegen – –

„Nein, nein – ich kann nicht, kann nicht – lieber sterben“!

Und so wurde der Absagebrief expediert.

Ein paar Stunden später stürzte die Tochter zu mir und weinte zu meinen Füßen: ich solle den Vater nicht so kränken – ich solle den grausamen Entschluß wieder aufheben …

Ich war aber nicht mehr umzustimmen. Starr hielt ich fest an meinem: „Ich kann nicht, ich kann nicht!“

 

Standesgemäßes Denken & Verhalten

Aufenthalt in Wiesbaden 1856 – Aufsichtspflicht adeliger Töchter – Mitleid für „alte“ 23-jährige Single-Dame – erster Heiratsantrag mit 13 Jahren

 

  1. 26-27:

Während sie [tante Lotti] im Spielsaal war, blieben wir zwei Mädchen unter der Obhut meiner Mutter draußen auf der Terrasse. Und als dann meine Mutter ihrer ernsten Aufgabe oblag – die ersten Tage ebenfalls mit Gewinn – übernahm Tante Lotti unsere Überwachung. Meine Jugend spielte in einer Zeit, da ein Mädchen aus gutem Hause nicht eine Viertelstunde unbewacht bleiben durfte. Zehn Schritte allein über die Gasse – das durfte nicht vorkommen; damit wäre man, wenn nicht verloren, so doch heillos kompromittiert gewesen. Die Gardedamenschaft , aus der sich die heutige weibliche Jugend mit dem Rade, mit dem Tennisrakett und überhaupt mit der ganzen veränderten Anschauung herausgeflüchtet hat, war damals im höchten Schwung.

 

  1. 29:

Viele Bekannte trafen wir an, und neue ließen sich vorstellen. Ich glaubte zu bemerken, daß über Elviras Gesicht ein Schatten von Kränkung flog. Als Visavis in dieser ersten Quadrille meines Lebens tanzte Hadelns ältere Schwester Franziska. Als mir der Bruder sagte, Franziska sei dreiundzwanzig Jahre alt, so staunte ich, wie ein so bejahrtes Fräulein noch tanzen mochte, und ich fühlte Mitleid für sie.

 

  1. 29:

Unter den nassauischen Offizieren, die sich meine Mutter und mir vorstellen ließen, befand sich ein Prinz Philipp Wittgenstein, der, soviel ich mich erinnere, mir auffallend huldigte. Sollte ein lebendiges Puffspiel schon an diesem ersten Abend beginnen? Doch nicht, denn der junge Leutnant gefiel mir nicht besonders, und so viel Verstand hatte ich doch, einzusehen, daß ich noch etwas zu jung zum Heiraten war. Tatsache aber ist, daß acht Tage später, anläßlich der zweiten Reunion, Prinz Philipp Wittgenstein bei meiner Mutter in aller Form um meine Hand anhielt.

Meine Mutter lachte: „Das Kind ist erst dreizehn Jahre alt – unter diesen Umständen werden Sie mir einen Korb nicht übernehmen.“ Daraufhin zog sich der Bewerber zurück. Mir war die Sache ein angenehmer kleiner Triumph, doch nahm ich sie mir nicht zu Herzen.

 

 

Eintritt in die Welt (ab 1862) – Suttner als geb. Kinsky gehört in Bezug auf ihr Geschlecht eigentlich zur österreichischen Hocharistokratie, Name allein reicht aber nicht

  1. 55:

Und nun sollte ich „in die Welt“ eingeführt werden. Unser Name hätte uns wohl berechtigt, in der höchsten Aristokratie zu verkehren, denn es gibt wohl keine Familie des österreichischen Hochadels, mir der wir nicht verwandt oder verschwägert gewesen wären. Aber man kennt diesen Hochadel schlecht, wenn man glaubt, daß Name und Verwandtschaft genügen, um aufgenommen zu werden. Dazu gehört – namentlich war es so in meiner Jugendzeit, jetzt [1909] ist man schon etwas weniger exklusiv – vor allem der Besitz von sechzehn Ahnen, d.h. die Hoffähigkeit. Diese besaßen wir nicht – meine Mutter war keine „Geborene“; zudem waren auch unsere Mittel sehr bescheiden, also war es uns nicht möglich, in die erste Gesellschaft – sie selber nannte sich die „Société“ – von Wien zu gelangen. Das kränkte mich – ach, war ich doch für ein oberflächliches, eitles Ding! Zu glauben, es gehöre zum Lebensglück, in der „Crême“ zu verkehren, und zu glauben, daß mir durch die Vorenthaltung dieses Glückes ein unverdientes Unrecht widerfahre!

 

 

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