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Buch 1: Gut zu wissen

Das erste Buch „Träume Liebe Flucht“ handelt von der Kindheit und Jugend der späteren Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner. Geboren als Gräfin Kinsky war das Ziel ihrer Jugendjahre, einen reichen Adeligen zu heiraten. Ob Bertha dies erreichte, erfährst du, wenn du dieses Buch liest.

Das zweite Buch „Georgien“ findest Du hier:

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Bertha von Suttner ist heute vor allem als die erste Friedensnobelpreisträgerin bekannt. Doch erst mit ihrem Roman „Die Waffen nieder!“ wurde sie 1889 berühmt, nicht nur im deutschsprachigen Raum, in dem sie bis dahin mit Fortsetzungsromanen und anderen journalistischen Arbeiten ihr Einkommen bestritten hatte. Mit dem Namen, den sie sich mit ihrem „Welterfolg“ erschrieben hatte, konnte Suttner anschließend auch international als Vortragende fast jährlich eine Publikation auf den Markt bringen und musste nicht mehr bei Verlagen als Bittstellerin anklopfen. Als sie 64 Jahre alt war, verfasste sie ihre Memoiren. Dies war ein Genre, das auch um 1900 sein Publikum fand, ungewöhnlich war nur, dass diese Memoiren von einer Frau stammten, denn eigentlich veröffentlichten nur Männer, die sich und ihre Taten für wichtig hielten, solche Rückblicke auf ein erfolgreiches Leben. Memoiren von Frauen gab es gleichwohl, doch haftete ihnen der Ruch von schlüpfrigen Schlüssellocherinnerungen an.

Bertha von Suttner wollte aber mit ihren Erinnerungen auch die Entwicklung der Friedensbewegung aufzeigen und ihren Anteil daran für die Nachwelt festhalten. In den kürzeren ersten drei Teilen behandelte sie ihre Kindheit, Jugend und die Geschichte ihrer Eheschließung. Einerseits kannte sie das Interesse an ihrer Person und bediente dies als geübte Journalistin, um damit auch ihrem Hauptthema, der Friedensbewegung, Aufmerksamkeit zu verschaffen. Andererseits gab ihr dies auch Gelegenheit, einen kritischen Blick auf jene Gesellschaft zu werfen, der sie entstammte.

Aus der Warte einer erfahrenen und weltgewandten Frau beurteilte die geborene Komtesse Kinsky die Hocharistokratie ihrer Jugendzeit und konnte damit verpackt in eigene Erfahrungen gesellschaftliche Kritik üben: Denn einziges Lebensziel für Töchter aller sozialen Schichten war die Ehe, die ihren Zweck in zahlreichen Geburten fand. Die Töchter des Adels und des Großbürgertums sollten zwar Fremdsprachen zur Konversation beherrschen, doch eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Literatur wurde für unnotwendig, wenn nicht sogar gefährlich gehalten. Wenn Mädchen aus eigenem Interesse viel lasen oder sich sogar für Naturwissenschaften interessierten, konnten sie schnell zum „Blaustrumpf“ abgestempelt werden. Als Bildungsziel in Klosterschulen oder durch Gouvernanten galt das, was von den meisten Menschen der damaligen Zeit für weibliche Tugenden und Pflichten gehalten wurden. So nahm man etwa an, Frauen seien von Natur aus weniger für rationale Angelegenheiten und mehr für Gefühlsbelange zuständig, zu viel intellektuelle Bildung würden diese Eigenschaften verkümmern lassen oder schließlich die traditionelle Geschlechterordnung, die als „natürlich“ erachtete Arbeitsteilung von Männern und Frauen, gefährden.

Wenn junge Frauen des Adels und Bürgertums nicht bis zu einem bestimmten Alter „unter die Haube“ kamen und durch eine Eheschließung materiell „versorgt“ waren, hatten sie kein einfaches Los. Unverheiratete adelige Frauen wurden, wenn es gut ging, vom Majoratsherrn, also dem Haupterben eines adeligen Hauses versorgt, traten in ein katholisches Damenstift (wie in Innsbruck, Wien oder Prag) ein oder es blieb ihnen nur das Dasein einer geduldeten alten Tante bei verheirateten Geschwistern. Bertha von Suttner, der die Geburt als eine Angehörige des Hauses Kinsky zeitlebens wichtig war, hätte auf eine derartige Versorgung allerdings kein Anrecht mehr gehabt, weil ihre Mutter keine Hochadelige war (damit kam sie nicht mehr auf 16 hochadelige Ahnen in den vier vorangegangenen Generationen), sondern „nur“ aus dem nobilitierten Bürgertum stammte. Diese war daher nach ihrer Verwitwung – abgesehen von einer kleinen Erbschaft – ebenfalls nicht durch das Haus Kinsky versorgt, sondern wurde vom Freund ihres verstorbenen Mannes und Vormund ihrer Kinder „ausgehalten“. Man hätte es um 1850 nicht so genannt, aber jeder wusste, dass sie die Bettgefährtin dieses Mannes war, der die adelige Witwe aufgrund ihrer bürgerlichen Herkunft nicht durch eine Eheschließung in sein adeliges Haus aufnehmen wollte. Daher strebte die Mutter von Bertha nach materieller Unabhängigkeit und wollte dies ausgerechnet an den Spieltischen der europäischen Casinos erreichen. Dort trafen sich zwar jene, die sich zur feinen Gesellschaft zählten (eine bunte Mischung von reichen Aufsteigern, aus der Bahn geworfenen Adeligen und Künstlern aller Geschlechter), doch es gewann – auch in im Fall von Berthas Mutter – nur die Bank.

Herangewachsen sollte deshalb Bertha eine „gute Partie“ machen, de facto ein junges Mädchen unaufgeklärt mit einem reichen Mann verkuppelt werden, der dann auch die Mutter mitversorgen hätte müssen. Diesem häufig vorkommenden Heiratsmuster entging Bertha zwar, weil ihre Mutter schließlich ein Einsehen hatte, doch die Notwendigkeit, selbst für den Unterhalt zu sorgen, wurde dadurch dringlicher. Doch es fehlte Mädchen wie Bertha an einer geeigneten Berufsvorbildung, da es für adelige wie bürgerliche Frauen ja nur die Versorgung durch die Ehe gab. Zwar verfügten Frauen aus Handwerkerhaushalten über spezifische Fertigkeiten und besorgten auch oft die Buchführung, doch diese Kenntnisse erhöhten nur ihren Wert für eine Eheschließung mit einem bürgerlichen Handwerker. Töchter von Beamten oder selbstständigen Akademikern hingegen konnten vor Einführung der Lehrerinnenbildungsanstalten 1869 keine gesellschaftlich anerkannte Berufsausbildung machen. Es blieb ihnen nur die sogenannte „verschämte Arbeit“ innerhalb der eigenen vier Wände, also die Heimarbeit meist im Konfektionsbereich (sticken, nähen etc.), denn die Arbeit in einer Fabrik wäre als soziale Deklassierung verstanden worden. Bertha musste für ihre Berufsarbeit ihr Sozial- und Humankapital einsetzen: mit Fremdsprachen-, Gesangs- und Klavierkenntnissen und einem hochadeligen Namen sollte sich doch eine Stelle als Gouvernante finden lassen! Was in ihrem Fall gut ausging und im Hause Suttner endete, war ein europaweites Phänomen im 19. Jahrhundert. Zwar rangierten Gouvernanten über dem häuslichen Dienstpersonal und speisten getrennt von diesen mit ihren Zöglingen oder gar an der Tafel des Hauses, doch sie waren oft von der Laune ihrer Dienstgeberfamilie abhängig, konnten schnell gekündigt werden und wurden im Krankheitsfall nicht versorgt.

Die Kindheit, Jugend und erste Berufstätigkeit von Bertha von Suttner, „née Kinsky“, kann daher auch Einblicke in weibliche Lebensentwürfe und geschlechterspezifische Machtgefälle geben, die häufiger vorkamen als klischeehafte Stereotype der Vergangenheit vermuten lassen.

Die eingesprochenen Texte sind den Memoiren von Suttner entnommen.

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